Marion Alexa Müller über 6 Jahre PeriplanetaAnlässlich des sechsten Geburtstages von Periplaneta habe ich die Verlagsgeschichte aufgeschrieben und auf der Periplaneta Webseite veröffentlicht. Ein nicht ganz objektiver Beitrag über eine sehr bewegte und bewegende Zeit.

Von Null auf 150 in sechs Jahren:

Die Periplaneta Verlags- und Mediengruppe ist nicht aus dem Nichts entstanden. Einige Bestandteile gab es in anderen Formen schon viel früher. So ging das Independent-Magazin Subkultur 1997 online und die Lesebühne Vision & Wahn gab es bereits 2004. Anfang 2007 wurde dann das Silbenstreif-Studio aus der Taufe gehoben. Dabei war ich als angehende Filmrestaurateurin für die Video-, Thomas Manegold für Audioproduktionen zuständig (wenn ich im Folgenden „wir“ schreibe, dann sind in erster Linie ToM und ich gemeint). Die Hörbücher, die bei Silbenstreif in Auftrag gegeben wurden, konnten wir jedoch nur produzieren und nicht über den Buchhandel vertreiben. ISBNs mussten her. Während ich also den langwierigen Versuchsreihen zu meiner Diplomarbeit beiwohnte, las ich Bücher wie „Schon morgen mit einem Verlag reich werden“ und war in meiner grenzenlosen Naivität davon sehr beeindruckt …

Über 6 Jahre PeriplanetaIm August 2007 meldete ich Periplaneta offiziell an, wir veröffentlichten die ersten Hörbücher und ich schloss mein Studium ab. Wir integrierten das Independent-Magazin Subkultur mit seinen redaktionellen Beiträgen in die Verlagswebseite – denn niemand sieht sich freiwillig die „Kauf-mich-Kauf-mich-Hallo-Selbstdarstellung!“-Internetpräsenz eines Verlags an. Es war klar, dass abseits einer reinen Verkaufsplattform journalistische Inhalte geboten werden mussten. Wir und das „übernommene“ Subkultur-Redaktionsteam berichteten, recherchierten und rezensierten unterschiedlichste (Fremd-)Medien, ohne dabei auf die eigenen Verkaufzahlen zu schielen.

Neben meiner Arbeit als freiberufliche Filmrestauratorin an staatlichen Museen schrieb ich ein Jahr später meinen ersten Businessplan, um wegen fehlender Rücklagen überhaupt an Startkapital zu kommen. Der Businessplan wurde von meiner „normalen“ Bank abgelehnt, ein Jahr später auch von meiner anthroposophischen Öko-und-Kultur-Förder-Bank (die ich trotzdem noch sehr schätze). Die Erkenntnis reifte, dass Periplaneta wohl immer den Kommerziellen zu idealistisch und den Idealisten zu kommerziell sein würde. Es gab also keine Finanzierung. Aber mit ein bisschen gutem Willen geht bekanntlich alles. Wenn ich mir heute mein abgelehntes Businessplan-Konzept durchlese, lag ich damals mit meiner (zugegeben etwas optimistischeren) Kalkulation gar nicht so verkehrt, denn schon in den ersten Jahren steigerten wir unseren Jahresumsatz kontinuierlich um 30%.

Periplaneta Team, Sept. 2007, Marry, ToM, Sascha, JasminIm Nachhinein war die Verweigerung jeglicher finanzieller Unterstützung ein Segen. Ich musste knallhart wirtschaften, jede Ausgabe überdenken und fehlendes Kapital mit Kreativität, Engagement und Zielstrebigkeit ausgleichen. Es konnte nur das ausgegeben werden, was zur Verfügung stand und die Einnahmen wurden in die nächsten Produktionen investiert. Es ist allerdings ein Hirngespinst, von Independent-Literatur leben zu können, wenn man keine 80 Stunden in der Woche arbeiten will und so etwas wie Urlaub braucht. An all dem hat sich bis heute nichts geändert: 80-Stunden-Woche, kein Urlaub.

Der Verlag und das ständige Auffüllen von branchenspezifischen Wissenslücken vereinnahmten mich zunehmend – wer hätte gedacht, dass „was mit Büchern“ so komplex sein würde – und bald war klar, dass Periplaneta definitiv kein Hobby mehr war. Mit der wachsenden Produktion wurde es eng im heimischen Arbeitszimmer, aber wir fanden einen Vermieter, der an unsere Idee glaubte. Neben unserer täglichen Verlagsarbeit renovierten wir ein ehemaliges Internetcafé von Grund auf, gaben Möbel in Auftrag, führten mit potentiellen Produzenten Verhandlungen über Kooperationen …

Im Mai 2009 eröffnete das über 100 qm große Periplaneta Kreativzentrum, mit Literaturcafé, Verlagsbuchhandlung, Büro und einem Paketshop, um eine verlässliche Auslieferung unserer Bücher zu garantieren. Seitdem haben wir unser Portfolio um Getränke und Literaturcafé-Veranstaltungen (auch mit verlagsfremden Künstlern) erweitert und ich weiß nun, dass nur eines noch komplizierter und aufwendiger ist, als einen Verlag am Laufen zu halten: eine Schankgenehmigung für einen Mischbetrieb zu bekommen. Bier und Bücher – das überforderte die Ämter sehr lange.

Innenansicht des Periplaneta Literaturcafé, kurz nach dem UmbauPeriplaneta als Veranstaltungsort ist mittlerweile ein probates Mittel, den Namen abseits eigener Veröffentlichungen in die tägliche Presse zu bekommen. Hier findet nun auch die verlagseigene, monatliche Lesebühne Vision & Wahn statt. Denn ToM und ich sind auch noch auto-kreativ und schreiben jene Texte, die wir selbst gerne von anderen lesen würden.
Die Periplaneta Mediengruppe wuchs weiter, Silbenstreif bekam einen Label-Code, wir riefen mehrere Editionen ins Leben, kamen locker über die Umsatz-Mindestanforderungen der Barsortimenter Libri und KNV und es wurde der Dienstleistungs-Imprint Buchlader ins Leben gerufen.
Natürlich war nicht immer alles eitel Zuckerschlecken, es gab auch einige Querelen und Katastrophen (wie der Wasserschaden, bei dem unser komplettes Büro überflutet wurde), die aber nicht ausreichten, uns die Freude an unserem Tun zu nehmen.

Periplaneta wurde 2010 zur eingetragenen Marke, wir entwarfen neue Logos und haben uns frühzeitig in das eBook-Geschäft und in den Vertrieb von digitalen Audio-Files eingearbeitet, die Publikation von multimedialen und crossmedialen Werken vorangetrieben, Kooperationen mit innländischen Druckereien und Presswerken geschlossen und wir nutzten von Anfang an die Social-Media-Plattformen aktiv für unsere Präsentation. 2010 war auch das Jahr, in der mit der Edition MundWerk unsere Liebe zu Slam- & Lesebühnenliteratur ein eigenes Label bekam. Dieses sollte sich zu einer unserer erfolgreichsten und titelstärksten Editionen unseres Hauses entwickeln. 2012 wurde dann das unerwartet umsatzstarke Szene-Imprint Subkultur gegründet, das von Anfang an von szenerelevanten Künstlern wie Michael Schweßinger (einer der Verleger der ehemaligen Edition PaperOne) Markus Rietzsch (Herausgeber des Pfingstgeflüsters) oder Mozart (Umbra et Imago-Mastermind) unterstützt wurde.

Periplaneta Buchstand im Centraltheater Leipzig 2013Damit ist das Periplaneta Sortiment auf sieben inhaltlich verschiedene Editionen expandiert:
•    Unsere literarischste: Edition Periplaneta (Romane, Kurzgeschichten)
•    Unsere phantasievollste: Edition Drachenfliege (All-Age-Fantasy, All-Age-Kinderbücher)
•    Unsere witzigste: Edition MundWerk (Kabarett, Slam- und Lesebühnenliteratur)
•    Unsere blutigste: Edition Totengräber (Krimi, Psycho, Thriller)
•    Unsere lyrischste: Edition Reimzwang (Lyrik, Essays)
•    Unsere authentischste: Edition Blickpunkt (Biographien, Sachbücher)
•    Unsere unkonventionellste: Edition Subkultur (Independent, Szene)

Dass sich Periplaneta in keine Schublade stecken lassen will, liegt nicht nur an unseren vielfältigen Interessen. Wir wollen gute Bücher verlegen und die Wahrscheinlichkeit, dass man pro Produktionsjahr konstant 20 lesenswerte, erfolgsversprechende Titel eines einzigen Genres unter Vertrag nehmen kann, ist doch sehr gering. Und das, obwohl uns pro Monat um die 50 Manuskripte zugeschickt werden. Manchmal kommen wir mit der Durchsicht kaum hinterher …

“Das schwere Ende von Gustav Mahlers Sarg” Buch mit DVD! Bis Mitte 2013 haben wir um die 150 Projekte realisiert und publiziert. Das Realisieren umfasste bei Periplaneta schon immer den gesamten Entstehungsprozess von Lektorat, Gestaltung, Audioproduktionen und Druckvorlagenerstellung bis hin zu einer langfristigen Autoren- und Produktbetreuung. Manchmal geht unsere Arbeit auch weit darüber hinaus, wie bei Clint Lukas‘ Roman „Das schwere Ende von Gustav Mahlers Sarg“, der mit einer Film-DVD erschienen ist. Trotz vieler Telefonate konnte mir niemand sagen, wie man ein Crossmediaprodukt verwirklicht. Also haben wir uns auch in diese Thematik eingearbeitet, den Film mit Untertiteln versehen und neu gerendert, ihn der FSK vorgelegt, ihn bei Filmfestivals eingereicht, usw. …

2013 war auch das Jahr, in dem wir unsere Webseite erneuerten. ToM hat zwei Jahre gebraucht, um sich in die verschiedenen Skripte einzuarbeiten, Computer-„Sprachen“ zu erlernen und die richtigen Add-ons herauszufiltern. Das wurde zu seinem Steckenpferd. Er administriert mittlerweile um die 30 Blogs und Webseiten, und immer, wenn er in der täglichen Besprechung über „interessante“ Problemlösungen referiert, ist es für alle Beteiligten ratsam, einfach nur wissend zu nicken. Sonst wird nämlich das Flip-Chart geholt und das kann dauern … 😉 Dem Erfolg der neuen periplaneta.com ist ToMs Passion nur zuträglich. Schon ein halbes Jahr nach dem Relaunch kommen wir mit den Zugriffen auf unsere Seite an die Leistungsgrenze unseres Servers. Wir brauchen wohl bald einen noch größeren.

Schon zwei Jahre vorher (2011) trat ich, trotz anfänglicher Bedenken, mit Periplaneta in den Börsenverein ein (der Börsenverein hat übrigens nichts mit der Finanzbörse zu tun, sondern vertritt die Interessen der Buchbranche). Ich wollte aber nicht nur zahlendes, sondern auch aktives Mitglied sein und arbeite mit im Ausschuss KomIntern. Ich habe den Schritt nicht bereut, und das, obwohl sich ein Independent-Verlag grundsätzlich gegen alle offiziellen Abhängigkeiten wehren muss, um independent zu bleiben.

Literaturcafé 2012

Ein Kampf gegen doktrinärere Auflagen ist allerdings selten aussichtsreich. Vor allem, wenn man im Laufe der Selbständigkeit erkennt, welche Abgaben – unabhängig vom Umsatz – zu erbringen sind. KSK, GEMA, Berufsgenossenschaft, GEZ, Ämter, gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen, … alle möchten ein Stück vom Kuchen abhaben, der noch nicht einmal gebacken ist. Der Druck, der auf einem nicht subventionierten Independent-„Fairlag“ lastet, ist enorm. Man wird täglich bombardiert mit Forderungen: Die Offiziellen wollen Geld, die Autoren wollen – logischerweise – Reputation und eine allumfassende, qualitativ hochwertige Betreuung. Trotz einer dadurch enorm aufwendigen Selbstverwaltung darf man die aktuellen Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren, muss planen, kalkulieren, kreativ sein, neue Projekte bearbeiten, die Investitionen wieder einspielen und zudem noch den eigenen Arsch halbwegs an die Wand bekommen. Das ist ein täglicher „Seiltanz mit Schirmchen im Sturm“ (Zitat Lisa Morgenstern).

Letztendlich begreift man selbst und auch das sogenannte soziale Umfeld, dass es weniger ein Wirtschaftskonzept ist, einen Independent-Verlag zu führen, als viel mehr ein Lebenskonzept. Denn zwangsläufig wird alles andere, sei es Familie, Freundeskreis, Freizeit oder die eigene Gesundheit, komplett untergeordnet. Die Freiheit, kompromisslos alle Energie und alle finanziellen Mittel in das zu investieren, was einem lieb und teuer und lesenswert erscheint, fordert einen hohen Tribut. Diesen zollt man an ein extrem bürokratisches und deshalb in seiner Gesamtheit gnadenloses Wirtschaftssystem.

Buchmesse Leipzig, März 2012Manchmal glaubten wir mehr an die Werke unserer Autoren und taten mehr dafür, als sie selbst. Das Risiko besteht weiterhin und wir können trotzdem nicht anders. Und wenn Clint Lukas titelt: „Für die Liebe, für die Kunst!“, dann spricht er mir aus dem Herzen. Für seine Ideale einzustehen, hat aber viel mehr mit Kampf als mit schöngeistigem Geplänkel zu tun. Mittlerweile ist die Idee von einer unabhängigen, wirtschaftlich funktionierenden Plattform für Kunst und Literatur Realität geworden. Es gibt deutschlandweit ganz wunderbare, engagierte Menschen, die die Ideale von Periplaneta teilen, die ihre Kreativität und ihre Zeit mit einbringen, um etwas Größeres zu erschaffen. Weil die Kunst jenseits wirtschaftlicher Zwänge etwas Befried(ig)endes und Befreiendes ist. Die Community der Periplanetaner wächst stetig.
Es gibt noch viel zu tun und noch viel zu lernen. Aber lernen ist, wie auch ein befreundeter Musiker (Ukulelenprediger) emsig proklamiert, der Sinn des Lebens. Wissen sammeln allein reicht aber nicht, man muss es auch hinterfragen und anwenden. Und dabei sollte man eine einfache, alte Tugend befolgen: „Praktiziere, was du predigst“ – und zwar in genau dieser Reihenfolge.

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